Das zeigt, wie sehr Du Dich verrannt hat.
Du ahnst sicher, dass ich das anders formulieren würde...
Zum Verständnis der Perspektive hilft vielleicht etwas Hintergrund: Ich bin beruflich im Bereich (eingebettete) Software unterwegs, vor allem im Automobilbereich.
Ein paar Punkte:
- Ein ganz grundlegendes Problem der Digitalisierung in Deutschland sind fehlende standardisierte Schnittstellen. In der Corona-Pandemie waren die unterschiedlichen Meldesysteme in der Presse, bei denen jedes Land, teilweise jede Kommune ihr eigenes Süppchen kocht. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wenn Institutionen, Behörden, Unternehmen, ... sich durch geschlossene Schnittstellen abschotten (ob aus wirtschaftlichen, menschlichen oder Kompetenzgründen), richtet das insgesamt massiven Schaden an. In vielen Bereichen wurde das erkannt und es wird Interoperabilität gesetzlich erzwungen. Da steht aber erst am Anfang. Ja, sicher, in diesem Fall ist das eine symbolische Diskussion, offene Bajonettschnittstellen retten ebensowenig die Welt, wie diese durch Canons Entscheidung untergeht. Aber es geht ja ums Prinzip.
- Hersteller von Steuergeräten für Autos werden von den Autoherstellern schon lange verdonnert, nicht nur bestimmte Schnittstellen, sondern auch Architekturstandards und mehr innerhalb der Steuergeräte einzuhalten. Das Motto des AUTOSAR-Standards ("AUTomotive Open Standards Architecture"): "Cooperate on standards, compete on implementation". Da ist es auch völlig üblich, dass nicht nur Steuergeräte für verschiedene Aufgaben von zig unterschiedlichen Herstellern stammen, sondern es wird oft sogar das gleiche Steuergerät (im Sinne von: für die gleiche Aufgabe) von verschiedenen Herstellern entwickelt und geliefert, damit der Autohersteller Alternativen hat. Je nachdem, wann dein Auto vom Band gelaufen ist, könnte bei gleichem Modell z.B. das Bremsteuergerät zufällig von Continental oder von TRW sein.
- Für den klassischen Fotografen mögen Kamera und Objektiv eng zusammengehören. Für den Informatiker sind es einfach zwei Geräte, die kommunizieren.
Vor diesem Hintergrund wird vielleicht klarer, wieso ich gegen die Aussagen von einigen hier angehe von wegen: "Canon hat jedes Recht, das zu entscheiden, und basta!!!" rechtlich vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber idealistisch sicher nicht.
Wenn Du ein Einheitsbajonett als Idealfall darstellst, hast Du vielleicht mehr Konkurrenz auf der Ebene der Objektivbauer für dieses Bajonett, aber Du verlierst die Systemkonkurrenz, die den eigentlichen Fortschritt bedeutet - und das ist eben auch der Unterschied zum Stromkabel von Apple. Ein Bajonett ist eben weitaus mehr als nur ein standardisierter Konnektor, es bestimmt, was mit einem Kamerasystem möglich ist in Hinblick auf Body und Objektiv.
Wieso? Was ist das Bajonett denn noch? Was macht das "System" denn aus? Sensorgröße, Auflagemaß, elektrische Parameter, mechanischer Konnektor, Kommunikationsprotokoll. Eine mechanische und elektronische Schnittstele zwischen zwei Geräten. Was gibt es da denn noch viel zu erfinden und zu patentieren?
Und insofern kann ich verstehen, dass Patente auf Bajonette erteilt werden, was dann konsequenterweise nach sich zieht, dass man vom Rechteinhaber abhängig ist. Wenig innovative Unternehmen wie die Objektivbauer müssen dann eben die Konsequenzen ihrer Positionierung in der Wertschöpfungskette tragen. Das führt dann vielleicht dazu, dass es temporär das ein oder andere potentielle Objektiv nicht gibt, aber dafür führt es zu einem Wettbewerb auf der Systemebene (und das es den gibt mit all seinen positiven Auswirkungen auf den Kameramarkt kann man ja täglich live hier im Forum verfolgen).
Inwiefern sind die Objektivbauer denn weniger innovativ? Sie müssen sich eine unter den gegebenen Randbedingungen vernünftige optische Konstruktion ausdenken, dabei einen Kompromiss aus Größe, Gewicht, Preis und verschiedenen optischen Eigenschaften finden.
Gut, die Kamerahersteller haben vielleicht noch ein paar mehr Baustellen (Sensor, Software, AF, Bedienung, ...). Aber jeder ist halt in seinem Bereich innovativ. Das "System" finde ich da nicht.
Welche großen Erfindungen gibt es denn beim RF-Bajonett?
- Der Spiegel ist weg, also verringern wir das Auflagemaß, um die optische Konstruktion zu vereinfachen.
- Damit der Anwender EF und RF nicht verwechselt, ändern wir ein paar mechanische Parameter, damit EF und RF mechanisch nicht passen.
- Weil mehr Daten übertragen werden müssen (Korrekturdaten und Regelinformationen für die IS-Kooperation), bohren wir den SPI-Bus auf.
Alles einigermaßen naheliegend. OK, die Ideen an sich der IS-Kooperation (klingt irgendwie nicht gut...
) und der Übertragung der Korrekturdaten sind neu und nicht trivial. Aber beides funktioniert ja absehbar bei Fremdherstellern sowieso nicht.
Im Kamera- und Objektivmarkt gibt es eine umfangreiche und gesunde Konkurrenz auf allen Ebenen. Ich verstehe nicht, warum das Recht auf geistiges Eigentum ausgerechnet hier eingeschränkt werden sollte - den entstehenden Vertrauensverlust mal ganz außer vor.
- Weil es missbraucht wird.
- Weil Schnittstellen prinzipiell offen sein sollten - siehe oben.
Aus den Kommentaren hier bschleicht mich aber sowieso eher der Verdacht, dass die Grundsatzdiskussion nur vorgeschoben ist und man eigentlich sagen will: ich möchte mehr und billigere Objektive und deshalb soll das Patentrecht ausgehöhlt werden. Dass das nicht legitim ist, bedarf keiner Erkläruing.
In manchen Fällen mag diese Motivation mit reinspielen. Mir geht es aber darum, dass
- es ein Patent auf eine Schnittstelle gibt und
- dieses dazu missbraucht wird, Komkurrenz jenseits der Schnittstelle zu unterbinden.