Ein Schlosser ist ein Schlosser und macht nichts anderes. Ein Schauspieler schauspielert- das was er schauspielert ist er aber nicht.
Dann sitzt der Betrachter halt dem Irrtum auf, jemanden, den er für einen Priester gehalten haben mochte, als Bandenkönig wiederzutreffen. So erschließt sich die Rollenstärke des Schauspielers halt nur tröpfchen-, äh, bildchenweise, was aber am Beruf liegen mag, der somit aber doch wieder als Funktion der Person abgebildet wurde. Einen Chirurgen bei einer Blinddarm-Operation abzulichten, wird nicht mehr erzählen als bei der Gallenblase letzte Woche, das Berufsbild ist halt weniger "bunt" und somit diese Facette der Persönlichkeit schnell abgewickelt. Vielleicht ist ja der Herr Doktor in seiner Freizeit begeisterter Bergwanderer, dann kann man diese Facette über ein paar Achttausender strecken. Auch wieder nur eine Verkleidung, der Herr Chirurg mit Sauerstoff am K2?
Falsch wäre im zweiten Beispiel dann aber die Darstellung der Person als das, als was er sich verkleidet hat ohne klar zu machen, dass es eine Verkleidung ist.
Es liegt im Wesen des Schauspiels, (oder doch des Lebens?) dass man alles erst ent-decken muss. Fassaden überall, dahinter zu blicken setzt Aufwand voraus. Will man den nicht riskieren, bleibt man auf dieser Seite der Postillen und lebt sorgenfrei im Reality-TV weiter
Er wird dadurch eben nicht zum Priester, dass er sich so anzieht, man erkennt nicht seinen Glauben und auch nicht seinen Beruf- würde das aber fälschlicherweise da rein interpretieren.
Jetzt interpretierst du aber: wer sagt, dass jemand, der aussieht wie ein Priester, auch tatsächlich einer sein muss? Ist der Rock geschützt, darf man ihn sonst nicht tragen? Es gibt hinreichend Leute, die sehen aus wie Exekutivbeamte, sind aber nur Rausschmeißer in einer Diskothek. Es gibt Leute, die sehen aus wie Golfspieler, haben sich aber bloß in England eine Geschmacksverkühlung geholt…
Dein Standpunkt funktioniert nur, wenn jede (visuelle) Äußerung auf einige wenige Formen eingeschränkt würde, mit einer langen Liste an Ausnahmen, die von den Schauspielern ("aber die nicht in Berufskleidung …") angeführt würde.
Ich seh's entspannter: solange auf dem Bild eine Person erkennbar ist, sollte die sich im Vorfeld darum gekümmert haben, so dargestellt zu werden, wie sie es mit ihrer Persönlichkeit vereinbaren kann. Rennt dann Heinz Rühmann als Pater Brown durch's Bild, kann ich mich fragen, ob das nun echt oder nur gespielt war. Wie im wirklichen Leben -- da trifft man am Montag den Mayer, der schaut lustig und ist Installateur. Am Wochenende trifft man ihn wieder, hat er den Job gewechselt und verkauft jetzt Einbauküchen. Was machen wir mit den Bilder, die nicht sein "wahres Ich" mit der Rohrzange zeigen?
was ich aber nicht per se als Persönlichkeitsmerkmal ansehen würde.
Es kommt auf den Fotografen an. Wenn es Herb Ritts war, wärst du sicher anderer Meinung.
Der Rest ist so gering in der Aussagekraft, dass es das Bild nicht wert ist.
Das sehe ich aber ganz allgemein bei allen Porträts so. Wenn man beim Erstellen nicht auf die aktuell gegebene äußere Erscheinungsform abstellt, kommt gar nichts dabei raus. Wie sagte Newton so schön, als man ihn frug, ob er denn nicht die Seele seiner Models vernachlässige? "Ich verstehe was von Busen und Hintern und ich hoffe, meine Fotografie löst mehr aus, aber Seele? Nö, Seele verstehe ich nicht."
Das ist so wie mit der Geschichte, die manche in Bildern ausgraben wollen: Sie mag beim Entstehungsprozess eine Rolle gespielt haben, im Bild ist sie nicht mehr vorhanden. Das Porträt selbst hat eine gewisse Geschichte und intendierte Projektion, aber der Betrachter entscheidet, ob die Projektion funktioniert und die Geschichte verschwindet sowieso. Wie sagt die Kanzlerin? "The proof of the pudding is the eating." Genau.
Das Porträt zeigt einen Menschen auf einer Marke des Zeit-Raum-Vektors. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn der in dem Moment so oder anders oder gar nicht bekleidet war, war das eben so. Und wenn man nach 80 Jahren gar nicht mehr weiß, wen dieses Porträt eigentlich zeigt, ist das eben auch so. Dann spielt es gar keine Rolle mehr, ob im Porträt eine Rolle gespielt oder der pure Ernst verkörpert wurde, die Zeit macht Schluss mit solchen aufgesetzten Unterscheidungen. Es bleibt nur ein Bild und wenn es dann noch Beachtung findet wird es nur um den Bildinhalt gehen und die dann Lebenden werden interpretieren, was sie da sehen, ohne dass es ihnen einer schlüssig sagen könnte. Parallele dazu: Vivian Maier. Wer die Bilder wirklich aufgenommen hat wissen wir so wenig wie wer darauf zu sehen ist. Wir schließen aus der uns erzählten Geschichte auf Hintergrundinformation, die uns ins Erklärungsmuster passt, wurscht was wirklich war. Die Frage für einen Fotografen muss lauten: jenseits all des Geschwätzes, funktionieren die Bilder als Bilder? Oder muss man Soziologie zumindest im Zweitfach bei Cosmopolitan & Co. studieren, um im Œvre der Frau Maier etwas Besonderes zu erkennen?
aber es geht gar nicht darum, dass man erfährt, dass das jetzt Helmut Newton war. Sondern "nur" etwas über den Fotografen.
Da wird man sich eher schwer tun, beim "über", zumal der Abbilder meist gar nicht im Bild ist. Da müsste man von der Art des Bildes auf das Wesen des Abbildenden schließen und dann wird's aber eine Aufgabe für Phantasiebegabte (ohne "Phantasten" sagen zu wollen).
Es geht um den Menschen und eine evtl. sichtbare Charakter- oder sonstige Eigenschaft, die diesen Menschen ausmacht. Selbstbewusstsein beispielsweise. Und das kann man sichtbar machen.
Kann man. Manchmal muss man, dann wird das gezeigte Selbstbewusstsein zur Rollen-adäquaten Inszenierung mit gutem Grund, aber ohne faktische Begründung. So einfach liegen die Dinge mit den Bildern nicht: was immer auf einem Bild zu sehen ist, wird Gegenstand einer Interpretation und die ist immer nur so "treffend" wie der Kontext es für den Betrachter zulässt. Wenn es der Fotograf schafft, diese Eigenschaft überhaupt ins Bild zu bekommen und nicht eine ganze andere, ihm wichtiger erscheinendere und leichter zu visualisierende hervorhebt. Dann: bye, bye Selbstbewusstsein, welcome soziales Gewissen
Die Bilder von Newton strahlen auch etwas aus- nur denke ich mir, dass das eben keine Eigenschaften seiner Models waren, sondern er ein Teil seines Ichs da inszeniert hat.
Newton hat von Porträts ebenso gelebt wie von der Fashion-Fotografie und seinen eigenen Inszenierungen. Lagerfeld ist sicher kein "Model" und trotzdem sieht man, dass da Newton am Auslöser war. Es ist diese (zumindest erscheint es mir so) "oberflächlich interessierte Distanz", die er wie kaum ein anderer festhalten konnte. Newton-Bilder wirken fast immer wie hinter einer Scheibe, Ausstellungsstücke, die beobachtet werden. Eine wundervolle Balance von Nähe und Distanz und die muss er wohl im Blut gehabt haben, sonst hätte er anders fotografiert.
Bei Malern, den Abstrakten zumal, wird das stärker deutlich- niemand wird ernsthaft behaupten, dass da ein Abbild einer Person etwas mit dem Modell zu tun hat.
Wenn wir darauf bestehen, dass im Porträt der Porträtierte ohne Gebrauchsanweisung erkennbar sein muss, dürfte es keine abstrakten Porträts geben
… letztendlich können wir die Realität gar nicht erkennen- wir interpretieren sie immer mit unserem Ich.
Genau. Das tut der vor wie der hinter der Linse ebenso wie der später vor dem Bild. Eine Interpretationskette, die mit der ontischen Realität genau nichts zu tun hat. Daher ist es einigermaßen unerheblich, auf einem der vielen Bereiche, die ein Porträt ausmachen, auf "Wahrhaftigkeit" zu pochen, wenn alle anderen Bereiche sowieso wissentlich der Interpretation überantwortet werden müssen. Was würde wohl ein mongolischer Yak-Hirte zu einem Foto sagen, auf dem Heinz Rühmann als Pater Brown zu sehen ist? Wahrscheinlich gar nichts, denn für ihn sind beide für uns vordergründigen Kontextelemente unbekannt. Also kann er sich munter ans Interpretieren machen, aber es wird nichts dabei zu Tage treten, das nur einigermaßen der damaligen Realität im Studio entsprechen würde.
Oder anders ausgedrückt: muss jemals ein Fotograf zu einem Psychologen, sollte er seine gesammelten Werke mitnehmen- das sagt mehr über einen selbst aus, als sich die meisten über sich selber bewusst sind.
Da sagst du etwas Lustiges: Überlegen wir weiter, so müssen wir uns fragen, auf welcher Basis der Psychologe (oder eigentlich Psychiater) denn die Bilder der Mappe rezipiert, interpretiert und diagnostisch auswertet. Nicht einmal vor so ehrwürdigen Berufen macht das Dilemma Halt.