Bin ich das?
Bitte korrekt zitieren.
"Wer dagegen voltiert, ist […], wie der TO hier […] versuchte, die unverstandene Gegenposition zu diffamieren, religiös infiziert.
Das bezog sich auf die mehr oder weniger verblümten Aussagen in #130 ("wenn man nur fest daran glaubt") und #133 ("Diskutiere als Atheist mal mit 'nem gewitzten Theologen"). Nun kann man ja zur Religion stehen wie man will (und in Bezug auf Kunst gibt es da viele unbewusste Rückgriffe); in diesem Kontext konnte man sich aber nicht des Eindrucks erwehren, es ginge dir darum, irgendwie doch recht zu behalten, indem man die Diskussionsfähigkeiten des Gegenübers disqualifiziert.
Ich mag Kunst. […]
Ich würde nicht sagen, dass ich wirklich Ahnung von Kunst habe, bin aber definitiv interessiert und offen.
Das ist schön.
Womit ich ein Problem habe ist die Definition. Es gibt doch im Grunde zwei verschiedene Ansätze: entweder man kann objektiv definieren was Kunst ist und was nicht, oder man bezeichnet generell alles als Kunst - dazwischen gibt es objektiv nichts.
Falsche Disjunktion. Da gibt es keinen Dualismus (auch kein Manichäismus, siehe weiter unten). Analog dazu aus der Ethik: nur weil man "Das Gute" nicht objektiv definieren kann, heisst es nicht, dass alles zum Guten wird.
Ansätze zu Definitionen gibt es viele, Formalansatz, Darstellungs-, Ausdrucks-, Institutionstheorie. Die Probleme fangen aber schon weit vorher an, nämlich dabei, das Dingens ontologisch irgendwie festzunageln (materiell, mental?) oder überhaupt irgendwelche ästhetischen Eigenschaften zu verorten. Das ist ähnlich schwankender Boden wie Ethik. Mit ähnlichen Denksätzen, wie dem Begriff/Werkzeug der Supervenienz, den wir aus der Qualia-Diskussion kennen. Mit all den Implikationen und Schwierigkeiten die sich daraus ergeben. Und ganz ähnlich der Qualia-Diskussion gibt es in der Philosophie der Ästhetik nicht wenige Stimmen, die bezweifeln, dass es je zu einer alle Positionen befriedigenden Antwort kommen kann. Aber nur weil es sich um ein "moving target" mit sich ändernen Arbeitsthesen/Theorien gibt, heisst das nicht, dass Ethik, Qualia, Kunst o.ä nicht existiert oder gar ubiquitär wäre.
Meine best practice Empfehlung: Kant(KdU)+Institutionstheorie (Dickie/Danto). Dann kann man immer noch ganz doll empfinden, alles doof finden, aber gleichzeitig Mechanismen verstehen. Selbst Diskussionen
über diese Mechanismen wie hier.
Ich hätte generell kein Problem damit einfach alles als Kunst zu bezeichnen, was der Schaffende in künstlerischer Absicht erschaffen hat. Das Problem ist aber, dass, wer sein Werk als 'Kunst' bezeichnet, dafür im Vergleich zu 'nicht-Kunst' in der Regel eine erhöhte Anerkennung verlangt, unabhängig der Qualität.
Alles als Kunst zu bezeichnen, macht keinen Sinn, siehe oben. Es kann aber alles zu Kunst erklärt werden (ebenso, wie alles zum Fetisch werden kann). Wer das bezweifelt, kann sich mal mit ein paar Ethnologen zusammensetzen. Ob die künstlerische Absicht dafür ausreichend ist, kann hinterfragt werden, ist es wohl eher nicht (zumindest nicht nach aktuellen Ansätzen). Selbst wenn, ich kann mich auch in eine Ecke stellen, doll vor mich hindenken und die Anerkennung als Philosoph verlangen. Ist dann aber eher albern ohne entsprechende Würdigung : )
Aber davon ab: welche Qualität ist jetzt gemeint? Wo soll die stecken und wie kann ich sie erkennen? Gibt es einen Kunstometer, mit dem ich die frühen Arbeiten von Hölderlin mit den späteren vergleichen kann? Ist die "Qualität" in dem Ding an sich oder entsteht sie in meinem Kopf? Wo ist das "Rot", was ich sehe?
Unabhängig von der lehrbuchmäßigen Definition bringen wir mit der Aussage "Das ist Kunst." Anerkennung zum Ausdruck. Natürlich kommt Kunst rein etymologisch nicht von 'Können', wird aber in fast allen Lebensbereichen in dem Zusammenhang verwendet. "Sie beherrscht ihre Kunst.", "Packende Reden zu halten ist eine Kunst!", ein 'kunstvoller Salto' bei den olympischen Spielen usw.
Es wird auch dauern von "Quantensprüngen" geredet, ohne dezidiert den physikalischen Vorgang zu meinen. Ist ok, aber spätestens in Diskussionen über Physik sollte man in der Lage sein, Begriffe kontextuell korrekt anzuwenden.
Aber Fähigkeiten gehören auch heute noch zum kunsten, dass ist korrekt. Wobei sich hier eine der großen Fallen auftut - nämlich in der Annahme, dass es sich um zwingend um "handwerkliche" Fähigkeiten handeln muss. Das war schon seit der Renaissance nicht mehr einzig bestimmend (und schon gar nicht das wichtigste). Die damals noch notwendige Mimesis hat das nur 400 Jahre ganz gut kaschiert. Seit dem 19. Jhd. ist das eher belanglos, bzw. ordnet sich der eigentlich Intention unter. Ob das Hinweisschild nun schön sauber gemalt ist oder dahingeschmiert, ist für die Funktion egal. Manchen Ansätzen zur Folge
soll es geradzu schwer zu entziffern sein, ("enigmatischer Charakter der Kunst" und, um sich den Verwertungszwängen zu verweigern ->Adorno),
Ich bin nicht der simplistischen Meinung, dass Kunst immer total ästhetisch aussehen muss, oder dass 'alte' Werke von Da Vinci oder Monet noch wirklich Kunst waren, weil sie 'schön' sind, und moderne Kunst generell Müll ist. Aber ich sehe in der Gegenwart einen Trend hin zu Kunstwerken, der Erstellung wenig Zeit in Anspruch nimmt und die dann hinterher vom Künstler (oder der Kunstwelt) interpretativ enorm mit Bedeutung aufgeladen werden. Dann frage ich mich, ist das jetzt noch Kunst oder wird da einfach irgendwas zusammengeschustert und sich erst hinterher Gedanken gemacht, wie man das jetzt interpretieren könnte.
Ah, da haben wir es wieder. Das soll bitte messbar mit "Arbeit", mit handwerklicher selbstredend, verbunden sein. Geniale Idee ist nicht so wichtig, Hauptsache schön (oder unschön) aus"gearbeitet". Passte schon um 1500 nicht immer. Passte eigentlich noch nie. Wann soll denn deine "Gegenwart" anfangen? Beim Suprematismus und Malewitsch? Pollocks Drippings? Kandinsky? Turners Spätwerk? Duchamps oder Warhols Readymades?
Seit Kunst ist, wird auch darüber geschwätzt, oder "interpretativ enorm mit Bedeutung aufgeladen". Darunter so Schwätzer wie Platon und Sokrates, Bedeutung der Kunst wurde da sogar noch an ewiger Wahrheit gemessen. Vom Handwerk sprachen die irgendwie nicht, Mimesis war bei Platon sowieso nicht gerade wohlgelitten (BTW, wie misst man "Qualität" eigentlich bei Gedichten? Hübsch gemeisselt ist besser?). Kluger Kopf, dieser Platon, wusste er doch um das Verführerische, dass allzu leicht Korrumpierende des schönen Scheines. Dann gab es noch Schwätzer wie Leonardo, Dürer, Cezanne, Kandinsky, Pollock, die sich sogar erdreisteten, ihr intellektuelles Theoriegeschwätz in Buchform zu verbreiten. Und das waren jetzt nur die Tafelmaler, Kunst ist - das wird hier ja immer gerne ausser Acht gelassen - dann doch etwas mehr. Ein Blick in die Literaturgeschichte offenbart noch viel mehr Schwätzer.
Ganz generell ist ein Blick in die Geschichte recht erhellend. Auch, was die jeweilige Kritik ihrer Zeit zu den Kunstwerken der Vergangenheit verfasste.
Der Verfall der Kunst ist ungefähr so alt, wie der sittliche Verfall der Jugend.
Décadence allerorten, allerzeiten.
Das Ganze findet oft in Verbindung mit einem gewissen Elitismus statt. Gewisse Kreise aus Kunstkritikern, Sammlern, Kennern etc., also quasi das 'Kunstestablishment', meinen eine gewisse Deutungshoheit zu besitzen. Was sie sagen und schreiben bestimmt den Kunstmarkt, die Preise für bestimmte Werke usw.
Richtig, es ist ein System von Fachleuten, tatsächlichen oder vermeintlichen, die dieses System Kunst abbilden. Man kann das Elitarismus nennen, Egalitarismus ist sicher nicht, und Populismus auch nicht, da der Gegenstand, den dieses System behandelt
per definitionem elitär ist. Kunst zeichnet sich durch das Besondere aus, was über dem Üblichen steht. Sonst wäre es keine Kunst. Andere Systeme funktionieren übrigens ganz ähnlich, Wirtschaft oder Wissenschaftssysteme zum Beispiel. Die sind mit ihrem peer to peer sogar noch elitärer, elfenbeinturmiger, haben noch mehr Deutungshoheit. Aber da ist's natürlich wohlgelitten. Von elitärem Physikerestablishment habe ich zumindest noch nix gehört. Warum wird hier mit zwei Maßen gemessen?
Aber immer wieder stellt sich heraus, dass sie scheinbar doch nicht ganz so viel Ahnung haben, wie sie glauben. Bestes Beispiel ist der Fall Beltracchi - da haben Kunstkritiker im Brustton der Überzeugung behauptet, dieses oder jenes (gefälschte) Werk stamme von diesem oder jenem namenhaften Künstler, als Resultat wurden hohe Preise verlangt.
Ebenfalls richtig, das System kann sich irren. Hier kann man es allerdings auch positiv sehen, der Fall wurde recht schnell aufgedeckt. Aber ansonsten ein hübscher Fehler im System. Der in anderen Systemen übrigens auch passieren kann, neulich gerade in den USA.
Alan Sokal, der ja schon mal auffällig wurde, hat da groben Unfug bei den Psychologen aufgedeckt, der ebenfalls "von gewissen Kreisen" des Psycho-Establishments "im Brustton der Überzeugung" abgefeiert wurde.
Ist das jetzt "bestes Beispiel" für die Fragwürdigkeit der modernen Psychologie an sich?
Vielleicht liegt es ja an der Anfälligkeit "schwammiger" Geisteswissenschaften - aber auch die Naturwissenschaften sind da letztlich nicht gefeit. Die Frage bliebe, warum wird hier mit zwei Maßen gemessen?
Für mich zeigt das ganz gut, dass der Name des Künstlers mittlerweile für den Kunstmarkt oft eine höhere Bedeutung hat als das Werk selbst. Und während man sich alleine aufgrund eines Namens um manche Werke reisst, malen andere wie Picasso oder Monet und keinen interessiert's.
Wenn das Ziel der letzten 140 Jahre war, den Werkbegriff (zum Teil radikal) in Frage zu stellen (oder sogar zum Verschwinden zu bringen), verwundert es nicht wirklich, wenn man sich diesem Ziel nähert. Es ist erfordert dann auch keine höheren Denkeistungen, dass, wenn es kein, kaum, oder weniger "Werk" zu referenzieren gibt, der Künstler selbst zur Referenz wird (was man auf höherer Ebene durchaus kritisch sehen kann, siehe "Sekundäraura").
Und wer heute wie Picasso oder Monet malt, hat das klitzekleine Problem, nicht in der richtigen Zeit zu leben. Das wäre heute schlicht historisierender Kitsch. Wir denken, schreiben, reden, tanzen, kleiden uns nicht mehr wie vor 140/100 Jahren, wieso sollten wir so malen?
Und wer dieses System kritisiert, der wird nicht ernst genommen. Das einzige, was man gerade noch so sagen kann, ist, dass irgendein Kunstwerk nicht den persönlichen Geschmack trifft. Aber Kritik an der Qualität eines Kunstwerks wird sofort abgeschmettert - dann heißt es einfach, man hätte ja keine Ahnung von Kunst usw.
Mit Verlaub, das ist Unfug. Als selbsterklärter ZEIT-Leser sollte man vielleicht mal einen Blick ins Feuilleton werfen? Ullrich z.B. ist nun nicht gerade dafür bekannt, zeitgenössische Kunst mit Samthandschuhen anzufassen. Und eher berechnende "Aufreger" wie die von Zepter wurden da ebenso stumpf abgefeiert wie in der restlichen Medienlandschaft. Mit jeder weiteren Kunstmesse, mit jeder weiteren Sotheby'‚-Million wird's trendiger, kritische Artikel über das böse System Kunst zu veröffentlichen, gerne auch, wenn ein Buch darüber kurz vor der Veöffentlichung steht *hust*
Aber auch hier wieder: welche "Qualität"? Kann es sein, dass da eine leichte Fixierung auf "handwerkliche" Qualität, den äusseren Schein besteht? Was ist mit anderen Qualitäten? Wenn eine Performance zum Ziel hat, den Rezipienten zur Frage zu bringen, "ob das noch Kunst ist", und diese Performance die Eigenschaft oder Güte hat, dieses Ziel zu erreichen, ist das dann Qualität?
Nochmals, zum mitschreiben: Ziel vieler moderner Künstler ist es, die Autonomie, die in der Renaissance begann, mit dem 17./18. Jhdt. an Fahrt aufnahm und Ende des 19. Jhdt. (selbst)reflexiv wurde, weiterzuführen -
sonst wäre sie nicht modern. Das heisst in erster Linie zu abstrahieren (im originären Sinne), autonomisieren, Werkcharakter in Frage stellen, etc. ppp.. Autonomie vom der Kirche (Renaissance), Autonomie vom Handwerk ("disegno", Paris 1648) Autonomie von der Aristokratie (18.Jhdt), Autonomie von der Bourgeosie (19./20Jhd.), abstrahieren von der theologische Ikonographie, abstrahieren mittelalterlichen Denktraditionen (hin zur Perspektive/Installation des Subjekts), abstrahieren der Linie (Schule von Barbizon), abstrahieren der Mimesis (man hat in der Fotografie einen Dummen gefunden, der das freudig weiterführt) in Pointillismus etc. ppp., Abstreifen der Zentralperspektive (Picasso), Abstreifen des Gegenständlichen (Kandinsky) Abstreifen des "Sinns" (Dada), Abstreifen des Ästhetischen, der Maltradition, Abstreifen des Tafelbildes, der "Aura", der "Arbeit", des Elitär-Theoretischen-Studierten (art brut, Kinder, natives, Tiere) des Werkes an sich usw. usf. In der Fotografie vor allem: des "Authentischen", des Pathos, des Erhabenen, Gekünsteltem, dem Natur-Eskapismus (Rousseau klingelt wieder im Hintergrund) …
(Liste unvollständig)
Das,
wovon sich da autonomisiert wurde,
was da abstrahiert wurde, existiert natürlich weiterhin. Aber nicht (mehr) als Kunst. Wie man das nun nennt, was da überbleibt, ist Ansichtssache - Für die meisten Leute auf der Strasse und 99% der Insassen hier in dieser Anstalt wäre das wohl "richtige Kunst", nach Adorno wäre es reaktionäre, systemstabilisierende Kulturindustrie (mit den innewohnenden "Verblendungszusammenhängen"). Für andere ist's schlicht Kitsch (den man heute wieder gerne ironisierend aufnimmt und so – Umwertung der Werte - wieder zur Kunst macht, siehe Koons).
Hegel hat die Situation ziemlich hellsichtig vorausgesehen: Spaltung in Wissenschaft (Kunst), Ornamentales (Deko), und "Didaktisches" (heute wohl Funktionales wie Design, Werbung, Kommerz iwS. )
[…]
Um noch mal auf den Ursprung dieses Threads zurück zu kommen, die Fotostrecke auf ZEIT Online: meinetwegen, dann nennen wir es halt Kunst. Aber ich kritisiere die Qualität. Ich finde es oberflächlich. Der Sinn soll es laut Beschreibung sein, zu zeigen, wie man sich auch in Gesellschaft anderer allein fühlen kann, daher auch der Titel 'Together alone'. Wenn ich mir die Bilder angucke, ist dieses Thema aber nur äußerst oberflächlich umgesetzt, im Sinne von 'ich zeige zwei Objekte nebeneinander, die aber scheinbar nicht kommunizieren'. Beispiel die zwei Luftballons oder die zwei Deckenventilatoren - das sind einfach nur ganz simpel zwei identische Objekte in einem Bild. Im Bild sieben sehe ich ein aneinandergeschmiegtes Paar, das ganz und gar nicht allein oder verloren aussieht - auf dem Gesicht des jungen Mannes schwebt ein seliger Ausdruck, für mich das Gegenteil des Leitmotivs. Ich finde nicht nur die Fotos handwerklich mies (aber das ist ja keine notwendige Voraussetzung für Kunst), sondern auch die Thematik schlecht umgesetzt. Ich sehe in keinem Bild eine wirklich überzeugende Darstellung von Einsamkeit trotz Anwesenheit anderer.
Tja, was soll man sagen. Nichts ist schwieriger, als der geordnete Rückzug aus unhaltbaren Position (Clausewitz).
Hier aber ganz gut gelungen, das klingt doch manierlicher als noch zu Anfang des threads (und zwischendurch). Und von "Selfiesüchtige Schnepfen" und Tante Gerdas ist auch nicht mehr die Rede. 6-Jährige Kinder tauchen auch nicht mehr auf
Geht doch.