Was streiten wir uns eigentlich darüber

?
Mein Vater hat mir immer gesagt, was er auch schon von seinem VAter zu hören bekommen hat:
"Kunst kommt von Können, nicht von Wollen!"
In diesem Sinne
mfg Steini
*Ärmelhochkrempel*
Hallo in die Runde,
Ich möchte hier mal einen noch gar nicht aufgetauchten Ansatz als Antwort versuchen und bitte um etwas Geduld beim geneigten Leser, da es ein wenig aufwändiger in der Herleitung ist. Ich nehme als Einstieg aber mal die, hier im Grunde gar nicht relevante, Kunstthese aus dem Zitat. "Kunst komme von Können"
Genau davon kommt Kunst nicht, oder man müssteste alle gängigen Kunstbegriffe umschreiben. Mindestens aber die klassische Moderne in die Tonne treten (-> siehe uA Beus: "persönliche Mythologie des Künstlers"). Nach so einer Bemessungsgrundlage wäre Kunst zwingend an die Vollendung einer handwerklichen oder akademischen Fähigkeit gekoppelt und so etwas wie der highend output einer jeweiligen Hochkultur. Das ist natürlich (zum Glück) Quatsch, auch ohne dieses dumme Wort genauer definieren zu wollen.
"Kunst" beantwortet hier aber auch gar keine Fragen zum Topic. Das „Beste Bild“ müsste nebenbei auch noch lange kein Kunstwerk sein. Natürlich kann man Fotografie, oder jede andere bildnerische Technik lernen. Völlig analog zu jedem anderen Handwerk. Dies wurde hier ja auch schon mehrfach völlig richtig ausgeführt.
Das Moment, wo man über eine "außergewöhnliche Begabung" für etwas konkrete Aussagen treffen könnte, stellt sich aber erst ziemlich spät und nach langer Auseinandersetzung ein. Zumindest meiner Vermutung nach.
Wenn ich bildnerische Techniken unterrichte stelle ich immer erneut fest, dass es ungeheure Hemmschwellen gibt und viele wirklich falsche Vorstellungen. Besonders im Umgang mit Ausdrucksmitteln die bei uns nicht zur Grundkompetenz zählen, keine Alltagskultur sind. Fotografieren ist für mich sehr dem Malen und Zeichnen verwandt und da habe ich meine Wurzeln. Auch wenn das Werkzeug ein anders ist. Damit bedeutet es für mich (neben dem technischen) vor allem aber zunächst „das Sehen lernen“ (!). Die art Sehen welches es für ein reflektiertes Arbeiten braucht ist aber mühsam für die meisten von uns und das genau ist auch erwartbar normal.
Unendliche Tipps und Krücken, wie sie auch die Gestaltungslehre liefern, helfen für einen schnellern Zugang und für ein Reproduzieren von Sichtweisen die uns ansprechen und auch zu erfreulichen Erfolgen. Auch der Kopist lernt selbstredend. Das ist aber noch nicht Resultat einer eigenen, kreatürlichen Anwendung von Fähigkeiten. Die Frage „wann jemand etwas hier wirklich kann?“ beantwortet sich für mich immer erst in diesem schwer zu fassenden, "Eigenen" und immer jenseits des rein technischen. Dem aber eben nicht nur reproduktiven. Dahin zu kommen ist aber auch anstrengend und oft locken die Abkürzungen.
Wir gehen, völlig geprägt von unserem Alltag, mit den Dingen sehr stark symbolisch um. Wir sind bestimmt von einem ganz bestimmten und ankonditionierten Ablagesystem und dies ist ein Flaschenhals in unseren Möglichkeiten mit Gesehenem wirklich um zu gehen. Sinn macht dies durchaus, denn es bringt Effizienz und "Handhabbarkeit von Information". Es hat auch etwas mit Sprache und Mathematik zu tun letztlich. In Anlehnung an das Neurologische würde man hier vielleicht sagen - wir sind "linkshirnlastig" in unserer Orientierung. Universelle Vereinfachungen dienen der Kommunikation, sind mit wenig Voraussetzungen allgemein verständlich und vermittelbar. Hier ersetzt aber scheinbar "gewusstes" auch "echte Wahrnehmung" und das ist dann ein echtes Problem wenn wir kreatives leisten wollen. Genau daher malen ungeübte Erwachsene mehrheitlich einen Baum oder ein Gesicht, welche jeweils dem Ergebnis der anderen ungeübten Erwachsenen deutlich mehr entspricht, als etwa der realen Vorlage. Das erinnerte Symbol überlagert das wirkliche Sehen hierbei. Dieses Phänomen zeigt auch einen bestimmten Entwicklungsstand, bei dem wir einfach aufhören solches Beobachten noch zu üben. Verarbeitungsmodi die wir internalisiert haben und die wir täglich verfeinern. Damit konkurrieren diese aber auch mit den Werkzeugen welche wir für kreatives, bildnerisches Tun brauchen. In letzterem haben wir ein, auch kulturbedingtes Defizit. Zumindest nach meiner Auffassung.
Ich könnte diesen Text im Buchformat weiterspinnen, will euch dies aber ersparen. Ein praktisches Beispiel möchte ich aber noch loswerden, um meine These zum Topic zu untermauern, dass es im Wesentlichen um Wahrnehmungsleistung geht in der Subfrage.
Wir nehmen Fotos gerne unkritisch als "getreues Abbild von Wirklichkeit" wahr, die sich auch jedem sofort und vollumfänglich egal erschließt. Diese Basisannahme schon stimmt aber so nicht und nicht nur, weil es immer eine zweidimensionale Projektion wäre. Lege ich jemandem der „diese art Abbildung“ nicht kennt und auch die abgebildeten Objekte selbst nicht, ein Foto vor, so sieht derjenige überraschend etwas völlig anderes als wir erwarten. Im konkreten Beispiel ein Foto welches dergestalt aufgenommen ist, dass die Kamera auf der Schwelle zwischen zwei Schienensträngen liegt und in Verlaufsrichtung auslöste. Diese Gleise somit geradlinig in die Bildtiefe fluchten, bis sie im Hintergrund verschmelzen. So sähe derjenige eben gar keinen Raum, sondern nur ein flaches, beziehungsloses Dreieck. Schon dies ist für uns so kaum vorstellbar, entspricht es doch nicht unserer selbstverständlichen Erfahrung.
Ist auch nicht auf meinem Mist gewachsen übrigens, sondern ein wahrnehmungspsychologischer Versuch, der einst mit Menschen aus isolierten Gemeinschaften gemacht wurde. Im Ergebnis fehlte die Möglichkeit jedwede Räumlichkeit oder Zusammenhänge überhaupt zu erkennen. Unsere eigene Vorstellung ist aber eine von der selbstverständlichen Vermittelbarkeit, Richtigkeit und Objektivität von abgebildeter Information. Schon dies eben ein Fehler letztlich und ein Problem im Umgang.
Ich hoffe dies war ein spannend Exkurs und für den einen oder anderen sogar eine neue Perspektive zum Thema.
Gruß,
Boris