Lösung: du musst erkennen, dass du nicht zur Zielgruppe gehörst ;-)
Ich denke, dass diese Aussage zu 100% richtig ist und auch zur persönlichen Lösung meines Problems mit der ganzen Sache beiträgt. Objektiv betrachtet tue ich mich mit dem Gedanken schwer, dass es tatsächlich eine Zielgruppe für falsche Informationen und unvollständiges Halbwissen gibt und in mir regt sich der Gedanke "denen muss man doch helfen und sie richtig informieren".
Das kritische an diesem ganzen Phänomen ist, dass hier in den meisten Fällen nicht bewusst Halbwissen und Falschinformationen unters Volk gemischt werden (wie das z.B. bei vielen medialen Manipulationen der Fall ist). Die Träger des Phänomens (deswegen in meinem Titel "selbsternannter Profi") sind tatsächlich der Meinung, dass ihre Informationen richtig sind. Das sind also Leute, die sich in einer Materie bewegen, die sie selbst nicht richtig verstanden haben, deren Ergebnisse oft vom Zufall abhängen, sie diesen Zufall aber versuchen durch ihr Halbwissen als Fachwissen weiterzugeben.
Ich fand das vorher genannte Beispiel mit dem Ausleihen der Blitzanlage und dem Workshop schon fantastisch, hier hat man aber noch den positiven Effekt, dass der Workshopleiter sich die Funktion der Anlage wenigstens hat erklären lassen (wenn auch echt auf den letzten Drücker). Bei den von mir genannten Phänomenen ist es eher so, dass die Blitzanlage schon selbst eingekauft, aber trotzdem nie verstanden wurde und trotzdem Workshops gegeben werden. Und das "nie verstanden" sieht aber der Besitzer der Anlage nicht so. Denn wenn er an den Knöppen dreht, das Model sich auszieht und er durch eine mit Vaseline beschmierte Glasscheibe fotografiert, sind immer Fotos dabei die die Leute gut finden. Folglich kennt er sich seiner Meinung nach im Umgang mit Models aus, im Bedienen der Kamera, im Bedienen der Blitzanlage und im Einkaufen und Verschmieren von Vaseline. Experte auf allen Gebieten ...
Ich gebe zu: wenn man sich so ein wenig mit der Materie auskennt, dann kann man mit solchen Videos, Tutorials, Blogeinträgen und Fotostrecken schon sowas wie Spaß haben. Und das wäre auch wirklich witzig, wenn das mittlerweile nicht ein Phänomen geworden ist, welches in seiner Unvollständigkeit und Falschheit das Grundwissen Zigtausender prägt.
Vorher hat jemand geschrieben, dass das einfach die besseren Lehrer sind. Wenn man unter einem guten Lehrer denjenigen versteht, dem die Leute gerne zuhören und folgen, dann stimmt das. Damit ist aber noch nicht erklärt, was dieser Lehrer erzählt, was seine Zuhörer hören und was genau sie da eigentlich folgen.
Ich komme aus dem pädagogischen Bereich und höre von jungen Erwachsenen sehr oft, dass sie nachträglich der Meinung sind, dass die Lehrer, die früher immer am strengsten waren und die sie eher doof fanden, am meisten zu dem Wissen beigetragen haben, dass sie heute noch behalten haben.
Das sind jetzt Extreme und es muss noch mehr geben, als den coolen Lehrer, der einem nichts außer Unsinn vermittelt und dem uncoolen Lehrer, bei dem vielleicht was hängenbleibt oder dem man in seiner Uncoolness schon gar nicht mehr zuhören will.
Dabei wäre die Sache eigentlich ganz einfach: die Träger dieses Phänomens haben die Fähigkeit, Leute an sich zu binden und sie für etwas zu begeistern. Jetzt fehlt nur noch die Einsicht, dass man trotz seines Erfolges nicht unfehlbar ist und darüber hinaus erkennt, dass eine gewisse korrekte Fachlichkeit Voraussetzung für die Vermittlung korrekten Wissens ist, um eine gewisse Reproduzierbarkeit zu gewährleisten. Diese Leute wollen keine falschen Informationen weitergeben, tun es aber, weil sie glauben, dass ihre Informationen richtig sind. Das Problem könnte allein dadurch gelöst werden, dass jemand, der von der Material wirklich Ahnung hat, sich z.B. einen Blogeintrag vor Veröffentlichung durchliest und korrigiert. Der Schreibstil wäre der selbe, die Leser wären genauso begeistert - nur wären für das Bokeh am Ende die Kombination aus Blende, Brennweite, Entfernung zum Motiv und Hintergrund gemeinsam verantwortlich und nicht nur die Blende.
Meiner Vermutung nach, wird sowas aber nicht passieren. Wenn man diese Phänomene verfolgt, dann stolpert man immer wieder auf Versuche von versierteren Usern via Kommentar aufzuklären und richtigzustellen. Ich habe es noch kein einziges Mal erlebt, dass daraufhin der Verfasser des Beitrages sich für die Korrektur des Fehler bedankt hätte. Stattdessen wird entweder die Korrektur als zu fachlich und für die Leser uninteressant kritisiert oder man bedankt sich für die Folgekommentare ala "Ich finde, Du machst das richtig gut. Lass dich von solchen Miesmachern nicht runterziehen und geh Deinen Weg !" Und im nächsten Beitrag wird der gleiche Fehler wieder gemacht.
Ich glaube, dass wir es hier wenigstens im Ansatz stellenweise mit einer Form von Größenwahn zu tun haben. Ausgehend davon, dass der Erfolg und die Aufmerksamkeit nicht durch das Fachwissen zustande kamen, man aber den Erfolg nun auch auf das vermeintliche Wissen bezieht. Das ist die Geschichte mit "der Erfolg gibt uns Recht" und "Hauptsache erfolgreich". Oder anders gesagt: "Wenn meinen Beitrag 999 Menschen gut finden und nur eine einzige Person dort Fehler findet, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass ich etwas falsch gemacht habe ?"
Klar - der Selbstkritische kuckt sich den Fehler an, informiert sich und merkt, dass er es mit 999 Leuten zu tun hat, die noch weniger Ahnung haben als er selbst und sieht seine Verpflichtung darin, beim nächsten mal genauer zu recherchieren und richtig zu informieren. Der Phänomenträger von heute hingegen sieht sich einzig und allein darin bestätigt, so weiterzumachen wie bisher.
Ich mag nicht so recht daran denken, zu was das mittlerweile geführt hat oder in Zukunft noch führen mag. Fakt ist aber, dass die Fans solcher Leute mitunter Hunderte von Euros für Workshops ausgeben, ohne jemals zuvor ein Buch über Fotografie in den Händen gehalten oder einen Fachartikel zum Thema im Internet gelesen zu haben. Parallel dazu interessiert der Grundlagen-Fotokurs des Profifotografen, den die VHS schon seit Jahren für 40 Euro anbietet, nicht die Bohne. Und merkt man, dass der Großteil der Fanbase kein Geld für teure Workshops hat, bietet man Niedrigpreisartikel an, durch die man trotzdem seinem Idol näher sein kann. Es geht da zum Teil schon um Existenzen, um Geld und um Erfolg ... sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne.
Grüße,
Tasnal