Es hat also nichts mit Provinzialität zu tun, wenn man die Bedeutung des Wortes Fotografie versteht.
Deine Auffassung von Fotografie ist bestens bekannt, wird von dir pointiert dargestellt und entspricht in keiner Weise meiner Auffassung. Ich habe nun keinerlei Anspruch dich von meiner Auffassung zu überzeugen, möchte die Unterschiede aber kurz darstellen.
In deiner Begründung schwankst du immer ein wenig zwischen einer technischen, Fotografie ist alles was aus dem Fotoapparat kommt, und einer erkenntnistheoretischen Begründung, Fotografie ist eine Abbildung einer wahren Szene.
Hierbei entstehen zwei grundlegende Probleme: Bei näherer Betrachtung gibt es keine manipulationsfreie Fotografie, da die Manipulation im technischen Prozess verankert ist.
Ich hege aber die Vermutung, dass unsere sehr unterschiedliche Auffassung darin begründet sind, dass wir eine sehr unterschiedliche Auffassung hinsichtlich der Begriffe "Abbildung" und"Wahrheit" haben. Für dich sind das absolute, für mich relative Begriffe. Kurz, exakte Wahrheiten oder einen Realitätsbegriff wie du ihn verwendest, gibt es nicht einmal in den Naturwissenschaften.
Unabhängig davon gibt es allerdings eine Fotografiegeschichte, so wie es eine Kunstgeschichte gibt.
In jedem Fall existiert die Fotografiegeschichte unabhängig von unser beider Auffassungen. Hier könnte ich mich nun in unendlich vielen Beispielen verlieren, die deine Auffassung empirisch widerlegen. Etwa dadurch, dass gerade am Anfang der Fotografie die fotografische Collage stand. In der Tradition der fotografischen Collage steht übrigens auch ein Gursky, der nach deiner Auffassung ja kein Fotograf ist, nach der Schreibweise der Fotografiegeschichte aber unzweifelhaft ein Fotograf ist.
Nun brauche ich deine Hilfe fewe: Wie genau soll ich es bezeichnen, wenn man all die Facetten der Fotografiegeschichte leugnet und einzig die sehr deutsche Tradition der dokumentarischen Fotografie anerkennt?
Amüsant finde ich es nun wieder, dass die Radikalen der dokumentarischen Fotografie, wie der Autor des Blogs, Gursky gerne als einen ihrer Apologeten ansehen, nur weil er eben Meisterschüler bei Bernd Becher war. Nach meinem Eindruck ist der Einfluss der subjektiven Fotografie von Otto Steinert, obwohl er nur wenige Vorlesungen bei ihm gehört hat, bei weitem größer in Gurskys Werk.
Die Besonderheit liegt darin, diese so aufzunehmen, dass sich die Botschaft möglichst pointiert ergibt.
Und auf einmal befindest du dich schon nicht mehr in dem "manipulationsfreien" Bereich der Fotografie, den du doch so sehr liebst. Konsequent zu Ende gedacht, wie es Bernd und Hilla getan haben, ist jede Subjektivität in der Fotografie zu vermeiden und erst recht jede Form der Pointierung. Die Mittel hierzu sind die neutrale Zentralperspektive und ein möglichst neutrales Licht bei der Aufnahme sowie die Vermeidung jeglicher Kompositionselemente, die nicht vom Objekt selbst stammen. Aus meiner Sicht muss dieser Ansatz scheitern, da, bei allem Bemühen, auch dies ein subjektiver Ausdruck ist, wenn auch ein sehr abstrakter, um nicht zu sagen eingeschränkter.
Für mein Gefühl ist das Credo dann: Wenn wir hier schon kein Adria-Licht haben, dann sollen gefälligst alle leiden.
Nein, wir haben hier durchaus Lichtstimmungen, die in ihrer subjektiven Qualität einzigartig und wunderschön sind. Es gehört schlicht zum Programm diese aktiv zu vermeiden. Wenn du also Bilder von Landschaften und Gebäuden mit einer besonderen Lichtstimmung siehst, dann handelt es sich nicht um dokumentarische Typographien und Typologien.
Offenbar spielt da ein rigider Puritanismus mit, ein calvinistischer Gedanke, protestantisches "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen". Oder das Motto: "Was nützlich sein soll, darf niemals gefällig sein."
Aus meiner Sicht ist es eine Reaktion auf die propagandistisch missbrauchte subjektive Fotografie im Dritten Reich. Die junge Bundesrepublik war gekennzeichnet durch eine Verdrängungskultur und in nahezu jedem gesellschaftlichen Bereich darauf aus, Konflikte als aufgelöst zu deklarieren. Von Österreich wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht erst anfangen.
Und überhaupt, ich bin es ja Leid, dass die Radikalen der neuen Sachlichkeit den Begriff des Dokumentarischen für sich okkupieren. Im eigentlichen Sinne ist jede Form der Fotografie dokumentarisch. Sie dokumentiert die Auseinandersetzung des Fotografen mit dem Gegenstand seiner Fotografie - nicht mehr und nicht weniger.
Greets
/bd/